Das erste Mal als „workawayer“ arbeiten – Sunny Coast

16. Februar 2017 11 Von Nicole

Von der relativen Einsamkeit des Mount Warning geht es direkt weiter in die Grossstadt. Brisbane – von den Australiern Brsbn ausgesprochen ;-), wo ich mich mit meiner neuen Arbeitskollegin treffen soll.

Das ist nett: du bist in einer völlig fremden Stadt, musst irgendwie zu einem vorher ausgemachten Punkt auf dem Stadtplan (den du nicht hast) kommen, um jemanden zu treffen, den du nicht kennst und von dem du lediglich einen zentimetergrossen Ausschnitt eines Passfotos hast, um dann zusammen mit dieser Person zu einem weiteren Ort zu fahren, den du nicht kennst, um dort für Leute, die du ebenfalls nicht kennst, zu arbeiten (keine Ahnung was)………ein neues Abenteuer wartet! 😀

Tatsächlich treffe ich mich mit einer jungen Frau aus den USA und wir verstehen uns auf Anhieb recht gut. Wir vertrödeln noch ein wenig die Zeit und steigen dann in unseren Zug in Richtung Sunshine Coast. Ich habe hier eine „Arbeit“ angenommen. Eine Woche lang werde ich einem älteren Ehepaar in Haus und Garten helfen, vier bis fünf Stunden am Tag und bekomme dafür Kost und Logis. So ganz genau weiss ich nicht, auf was ich mich da eingelassen habe oder was jetzt auf mich zukommt, aber es wird schon gut werden. Mit meiner zukünfigen Kollegin habe ich schon mal viel Spass und das ist doch ein gutes Vorzeichen.

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Die Glasshouse Mountains aus der Ferne

Unsere Zugfahrt führt übrigens an den berühmten Glasshouse Mountains vorbei. Das ist echt speziell, denn mitten auf der Ebene liegen da wie hingeworfen berggrosse Felsbrocken verstreut. Tatsächlich sind sie Überbleibsel eines enormen Vulkanausbruchs. Allerdings gibt es hier zu jedem Berg und zu jedem Fluss eine Geschichte der Aborigenes und auch hier im Zug findet sich jemand, der uns die Geschichte erzählt. Sie geht ungefähr so:

Ein Vater und eine Mutter lebten hier mit ihren vielen Kindern. Eines Tages trug der Vater dem ältesten Sohn auf, seiner Mutter beim Erklimmen eines Berges beizustehen, da die ganze Familie vor einer anstürmenden Flut fliehen musste. Der Sohn wusste nicht, dass die Mutter schwanger war, missachtete den Auftrag seines Vater und brachte sich selbst in Sicherheit. Als der Vater dies merkte wurde er wütend und warf einen grossen Stein nach seinem Sohn, der diesem den Nacken brach (der Berg hat eine abgrebrochene Sptze). Auch nach der Rückkeht der Familie in die Ebene schaut der Vater den Sohn nicht an, sondern blickt bis heute über den Ozean. Die Mutter ist sehr traurig, dass Vater und Sohn sich nicht vertragen.

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Blick von unserem Bootssteg

Inzwischen bin ich schon einige Zeit hier bei Mooloolabah (so heisst die nächstgrössere Stadt, ohne Witz!) Es ist super klasse hier! Ich habe ein grosses Zimmer mit Bad ganz für mich alleine, die Gast- und Arbeitgeber sind meganett und das Haus ist traumhaft direkt an einem Kanal gelegen. Du kannst dir das so vorstellen: vorne ist die Strasse, dann kommt der Vorgarten, das Haus an sich, die grosse Terrasse, der eigentliche Garten mit Pool und dann der Kanal mit Bootsanlegesteg und Boot und Kayaks. 😀 Richtig, richtig schön!

Wir beginnen den Tag mit einem gemeinsamen Spaziergang und Kaffeetrinken (in einem  deutschen Café!) an der Beach. Dann wird ein paar Stunden richtig rangeklotzt, wobei die beiden Gastgeber genauso hart arbeiten wie wir workawayer, dann ein Sprung in den Pool, Mittagessen und eine kleine Pause (es ist über 30 Grad heiss und die australische Sonne ist echt richtig richtig heftig!) und dann nachmittags noch ein bisschen was arbeiten. Es vergeht kein Tag, an dem unsere Hilfe nicht mehrmals wertgeschätzt wird. Überhaupt ist Danke ein viel verwendetes Wort in diesem Haus. Ganz erstaunlich, wieviel motivierter du arbeitest und wieviel leichter die Arbeit von der Hand geht, wenn du dafür geschätzt und gelobt wirst! Es wird auch sehr viel gelacht und jede Art von schrägem – schwarzen Humor führt zu lang anhaltendem und lautem Gelächter. Herrlich!

Abends wird oft eine Runde Karten gespielt. Natürlich verlieren wir beiden Welpen hoffnungslos gegen die alten Profis, aber wir werden jeden Abend besser (wirklich????) und an meinem letzten Abend kann ich tatsächlich einmal gewinnen! An einem Abend kommen Freunde zu Besuch und es gibt ein richtiges australisches Barbeque. Danach spielen wir ein sehr lustiges Quiz und als einzige nicht englisch Sprechende krieg ich jede Menge Hilfe von allen. Wir haben so viel Spass, dass unser Gelächter noch drei Häuser weiter zu hören ist (wie die Nachbarn auf Nachfrage bestätigen. Beschwert hat sich niemand!)

Jeden Tag steht irgendetwas auf dem Programm. Die beiden geben sich unglaubliche Mühe, uns unseren Aufenthalt richtig schön zu machen. Gleich am ersten Tag geben sie uns frei (!!) damit wir auf einen kostenlosen Segeltörn mit können. 1481112239303Natürlich lassen wir uns das nicht zweimal sagen! Ich verbringe die Nacht damit für gutes Wetter und ruhige See zu beten – leider vergeblich. Die See ist rauh, das Wetter stürmisch und die Wellen schaukeln dieses verflixte Boot hin und her……. Ich leide leider an sehr starker Seekrankheit und obwohl ich seabands und Ingwer und alles hatte……na ja, den Rest überlasse ich deiner Fantasie.

Trotzdem war das mal richtig toll! Und irgendwie hat’s auch voll Spass gemacht. Also so mal zwischendurch oder so…… 😉 😉

1481616687141An den Arbeitstagen machen wir kleinere Ausflüge in die Umgebung, an die naheliegenden Strände oder mit dem Bötchen auf dem Kanal (das schaff ich!). Eis essen, Spaziergänge, kleine bushwalks.  Am Wochenende kommen dann die richtig coolen Sachen dran! Einen Tag fahren wir mit dem grossen Geländewagen in Richtung Norden an eine 60km lange weisse Beach, wo man mit dem Auto fahren darf. Es gibt sogar einen kleinen Ort an diesem Strand, der nur ausschliesslich über den Sand zu erreichen ist.

1481440583732Das ist schon was Besonderes, wenn du so direkt auf dem Strand entlang braust und der grosse Ozean deine Reifen umspült! Natürlich geht das Ganze zur bei Ebbe, denn dann hinterlässt das Meer einen viele Meter breiten Streifen an ganz festem Sand auf dem die Autos fahren können. DSCN5738Die genauen Gezeitenabläufe müssen gecheckt werden, denn wer nicht früh genug zurück ist, der verliert mit grosser Wahrscheinlichkeit sein Auto. (Fast unvorstellbar, dass diese grossen 4×4 Trucks einfach vom Meer geholt werden, aber ich hab Fotos gesehen…..pfff!!!!)1481440581349 Aber wir haben genug Zeit für eine herrliche Fahrt, ein gemütliches Picknick und eine stressfreie Rückfahrt. Und unsere Gastgeber sind geübt und gut ausgerüstet – da werden ruckzuck die Reifen abgelassen und wieder aufgepumpt, Campingmobiliar wird ausgepackt, es gibt belegte Brote, heissen Tee und kühles Bier…..Herz, was willst du mehr?!

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YEAH!!!!! Überlebt…..

Oh, und nicht zu vergessen, dass die beiden uns eine verflixt hohe und steile Sanddüne hochgejagt haben! Als Wettrennen sozusagen – wer es schafft, hat gewonnen, aber wir mussten losrennen, also nicht langsam und stetig, wie ich das eher gewohnt bin. Meine Güte, ich hab gedacht ich sterbe bei dem Versuch!
Renn mal einen richtig steilen Berg aus losem, tiefem Sand hinauf!! Unten stehen zwei Leute und schreien sich die Kehle aus dem Leib, um dich anzufeuern (und lachen sich dabei halbtot!!) und du rennst und läufst und steigst und taumelst und  w i r s t  i m m e r  l a a  a  n  g  s  a  a   a   a  a   a   m   e   r, bis du endlich ankommst, direkt zusammen-brichst und nur noch pumpst wie ein Maikäfer auf dem Rücken. Dein Herz rast und deine Lungen pumpen den Sauerstoff durch deine Adern, so schnell es geht, deine Beine zittern und Schweiss läuft dir am Körper runter. Und dann merkst du – du lebst!!! Begeisterung und Lebensfreude schwappen durch dein ganzes Sein und ein Schrei bahnt sich seinen Weg……. unbeschreiblich!!!!

(Übrigens war meine Kollegin, obwohl gerade mal Anfang dreissig langsamer und noch kaputter als ich! Nahrung für das Ego! Hahaha)

1481343126237Auch der Besuch auf einem grossen lokalen Künstlermarkt war super interessant. Da gab es teilweise ganz schön irre Sachen, wie Musikinstrumente aus alten Kisten oder ein Lavendelladen, aber auch ganz Tolle wie zum Beispiel superschöne und weiche Wäsche aus Bambus, einen winzig kleinen Orangensafter (kleiner als ein Weinkorken) oder besonders dekorative Kunst aus Muscheln, Seeglas und Schwemmholz. Hach, wenn man nicht als Backpacker unterwegs wäre……. 😉 Selbstverständlich duftete es aus jeder Ecke verführerisch nach Kaffee, Samoas, frischem Brot, Kuchen, Curries und und und…….

aboriginal flagSehr interessant ist auch, dass unser Gastgeber fünfzehn Jahre lang als Lehrer im Aborigine Reservat gearbeitet hat. Hier bekomme ich mal echte Informationen aus erster Hand. Er erzählt von Jagdausflügen und Campings im Busch, von Gastfreundschaft und Familiensinn, von Totenfeiern und verliehenen Namen.  Aber er berichtet auch von den Problemen, die entstehen wenn die Menschen nicht arbeiten können und quasi gezwungenermassen von der Wohlfahrt leben, von Drogen- und Alkoholproblemen, von Prostitution. Und er redet vom politischen Rechtsruck, der auch in Australien stattfindet, von Rassismus auf beiden Seiten, von Intoleranz, Voruteilen und Missbrauch. Ein komplexes Thema, das viele Probleme in diesem jungen Land mit sich bringt.

Ich verlängere meinen Aufenthalt hier um fast eine Woche weil es so toll ist, doch dann heisst es dennoch Abschied nehmen, denn der Flieger ist gebucht und das nächste Abenteuer wartet. Wehmütig und traurig verabschieden wir uns voreinander, ich steige in meinen Shuttlebus zum Flughafen und zwei Menschen, die ihr Haus und ihr Herz für mich geöffnet haben bleiben winkend zurück und werden im Rückspiegel immer kleiner bis ich schliesslich um die Kurve fahre. Das ist der weniger schöne Teil des Reisens – immer wieder heisst es Abschied nehmen, Menschen und Orte zurücklassen, die gerade gefundene und weich ausgestattete Komfortzone wieder verlassen.

Ein kleines Tröpfchen Bitter im feinen Cocktail – und das hat schon alles so seine Richtigkeit. Es gibt mir immer wieder die Möglichkeit, zu reflektieren, meine Fähigkeiten im Nicht Anhaften zu trainieren und immer offen und aufmerksam zu bleiben.

Mein Flieger bringt mich nun von Brisbane nach Launceston in Tasmanien. Hier habe ich einen weiteren workaway-Job bei einer Familie mit sechs (!) Kindern. Das wird eine Herausforderung…..ich bin gespannt! Aber vorher habe ich noch eine ganze Woche Zeit, um die Insel zu erkunden.